Donnerstag, 30. April 2020
KLAUSUREN-CHAOS
Ich weiß nicht, ob es an der Quarantäne liegt (welche im Übrigen vorbei ist), aber ich verliere langsam den Verstand.
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Als ich heute morgen das Klassenzimmer betrat, hatte ich schon ein ungutes Gefühl wegen der Deutschklausur, die mich erwarten würde. Alle sahen angespannt aus - außer unsere Schulleiterin, welche offensichtlich beschlossen hatte, unserer Klasse noch vor Unterrichtsbeginn einen Besuch abzustatten.
Unser Mathelehrer musste aus uns nicht ersichtlichen Gründen nachhause zurückkehren und so kam der stellvertretende Schulleiter und bat uns darum, zumindest die erste der beiden Mathestunden für Mathe zu verwenden, wogegen niemand etwas hatte.
Ich zog also meinen blauen Mundschutz aus (denn in unserer Klasse wird 24/7 gelüftet und all unsere Tische haben einen Abstand von 1,5 Meter), öffnete meine blaue Schultasche, holte meinen blauen Ordner heraus und begann mit meinem blauen Füller zu schreiben.
Doch ich schrieb nicht sonderlich lange und ich kam an einem Punkt an, ab dem ich nicht weiterwusste. Eine Freundin von mir, A., sitzt am anderen Ende des Klassenraumes und so schaltete ich "Mobile Daten" ein und schrieb ihr eine Nachricht, in der ich sie darum bat, mir zu sagen, wie man die anderen Ergebnisse erhielt.
Immer wieder sah ich zu ihr herüber und während ich darauf wartete, dass sie einen Blick auf ihr Handy warf, kritztelte ich in meinem pinken Notizbuch (ein Geschenk meiner Oma) ein wenig auf Englisch herum. Nach einer Viertelstunde hatte ich genug, nahm mein Handy, schaltete "Mobile Daten" ein zweites Mal ein und spamte den Chat mit weiteren 45 Nachrichten. Da auch dies nichts brachte, begann ich damit, für die Deutschklausur zu lernen.
Gegen Anfang der nächsten Stunde - ich hatte einen Satz geschrieben - sah sie zu mir und ich hielt ihr mein Handy entgegen. Sie verstand und griff nach ihrem ... und lachte.
"Hannah!", rief sie quer durch das Klassenzimmer. "SECHUNDVIERZIG NACHRICHTEN?"
Ich lachte und nickte. Wir begannen also, über unsere Smartphones zu kommunizieren. Wir sprachen über unsere gemischten Gefühle vor der Klausur und irgendwann sprach ich sie auf ihren Geburtstagskuchen an, den ich, als eingefleischter Kuchen-Meider, so sehr liebgewonnen hatte, dass ich zwei Tage später davon träumte. Wir beschlossen, eine kleinere Version für meinen Geburtstag zu backen. Doch anstatt der sechs (?) Regenbogenfarben, die ihren Kuchen verziert hatten, beschränken wir uns bei meinem Exemplar auf Blautöne.

Unsere dritte Schulstunde, EW (Erziehungswissenschaften), begann langweilig, wurde dann kurz spannender und endete dann wieder langweilig.
Der spannende Part der dritten Stunde (unser Stundenplan hatte sich im Übrigen stark eingeschränkt) kam dadurch zustande, dass ein leiser, kaum bemerkbarer Alarm anfing, sich in der Klasse breitzumachen. Unser Lehrer, Herr D., sah auf und blickte sich langsam im Raum um.
"... Hören Sie das?"
Wir spitzten die Ohren und - tatsächlich! - ein Alarm. Zuerst hielten wir ihn für einen Feueralarm, steckten Nasen aus Türen und Fenstern heraus, doch kein Anzeichen eines Feuers war in Sicht. Schließlich kamen wir zu dem Schluss, dass irgendjemand die Feuertüren betätigt habe musste und Herr D. verließ den Klassenraum, um nachzusehen, da der Alarm nach drei Minuten noch immer nicht nachgelassen hatte. Das Geräusch verklang und er kam wieder zurück.
"Was war los?"
"Weiß' nich'. Irgend' so 'ne Schülerin, die allein in 'nem Klassenraum sitzt."
Klingt vielversprechend, dachte ich und grinste.

Schließlich der Moment der Wahrheit: DIE VIERTE STUNDE.
Da ich gestern bis halb zehn (oder zehn?) für die Klausur gelernt hatte, hatte ich ein einigermaßen gutes Gefühl. TJA.
Gerade als ich mit der Inhaltsangabe fertig war und nun mit dem ersten Axiom Paul Watzlawicks begann, ertönte die Stimme unseres Vertretungslehrers Herr D. durch die Klasse: "Noch zehn Minuten!"
Mit aufgerissenen Augen sah ich auf meine noch nicht einmal halbfertige Klausur.
Und du willst gut in Deutsch sein?, sagte ich zu mir. Du kriegst ja nicht mal 'ne Inhaltsangabe richtig hin, du Vollidiot.
Die Axiome nun auf einen Satz beschränkend schaffte ich so gerade noch das dritte von fünf Axiomen und auch kein "Abschluss" war vorzufinden.
Ich bin echt am *rsch, dachte ich missmutig und drückte die Klausur mit der türkisen Heftklammer (es gab auch rosane, Glück gehabt) beinahe schroff auf den Stapel. Mit einem (sichtbar) falschen Lächeln nickte ich dem Lehrer zu, packte meine Sachen grob zusammen und marschierte aus dem Zimmer. Zusammen mit A. ging ich zu den Toilettenkabinen und als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, hätte ich am liebsten in die Schüssel gebrochen.

Als A. und ich im Bus saßen, sagte ich ihr stolz: "Ich freu mich schon so, meine Haare loszuwerden." Meine Hand wanderte zu meinen dunkelblonden Strähnen und zwirbelte eine von ihnen.
"Aber deine Haare sind doch schon total kurz!", rief sie empört.
Meine Haare gehen mir bis zum Kinn, was willst du eigentlich?
"Aber sie sind doch lang."
"Nein, sind sie NICHT!"
Ein Grinsen entstand hinter meinem Mundschutz.
A. legte ihren Kopf auf ihre Hände und lachte. "Ich hab Schiss..."
"Wovor?"
"Dass dir das nicht steht..."
Das Grinsen verschwand. Und kam so bald nicht wieder.
"Selbst WENN mir das hier", ich zeigte auf meinen Kopf, "besser steht, als das nächste Woche. Ich fühle mich mit kurzen Haaren einfach wohler."
"Du sahst aus wie ein Junge", hallte es mir durch den Kopf. "Ich hab' mir gedacht: 'Ach du SCHEIßE!', als du damit in die Schule kamst."
Sie kommen trotzdem ab, dachte ich zerknirscht. Ich mit langen Haaren ist wie ... ein zu voller Blumentopf, in dem eigentlich nur blaue Vergissmeinnicht vor sich hin wachsen sollen. Zu denen man knallrote Rosen pflanzt...
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Nun sitze ich hier und esse Salat. Eigentlich wollte ich eine andere Soße machen, aber da ich nicht wusste, wie man diese nochmal macht, zeigte meine Mutter es mir. Zwar machten wir eine andere, aber ich werd's überleben.

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